Datenanalyse Gesundheit von Sozialhilfebeziehenden

​Das vom BAG in Auftrag gegebene Projekt erarbeitet Wissen zum Gesundheitszustand, zum Gesundheitsverlauf und zur Nutzung von Gesundheitsleistungen, sowie Zusammenhang zwischen Gesundheit und Erwerbsintegration bei Sozialhilfebeziehenden

Fiche signalétique

  • Départements participants Travail Social
  • Institut(s) Institut organisation et gestion sociale
  • Organisation d'encouragement Autres
  • Durée 15.07.2020 - 31.05.2021
  • Direction du projet Prof. Dr. Dorian Kessler
  • Mots-clés Gesundheit, Sozialhilfe, Public Health, Gesundheitsversorgung, Datenverknüpfung

Situation

Armutsbetroffene sind häufiger von gesundheitlichen Problemen betroffen als Personen, die finanziell gut abgesichert sind. Dieser Zusammenhang besteht, weil einerseits gesundheitliche Probleme eine Erwerbstätigkeit und die Vermögensbildung erschweren und weil andererseits Armut und ihre Begleiterscheinungen negative Folgen auf die Gesundheit haben (Marmot & Wilkinson, 2005). Folglich weisen Personen, die für ihre Existenzsicherung auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind, überdurchschnittlich häufig gesundheitliche Beeinträchtigungen auf (Shahidi et al., 2019). Gesundheitsprobleme von Sozialhilfebeziehenden stellen Sozialdienste vor besondere Herausforderungen. Frühzeitige Interventionen können bei besonders betroffenen Klientinnen und Klienten möglicherweise Negativspiralen und Langzeitabhängigkeit verhindern. Das Fachpersonal und die bestehenden Angebote der Sozialdienste sind für diese Aufgabe bisher aber nur begrenzt vorbereitet. Für einen evidenzbasierten Aufbau entsprechender Kompetenzen und Angebote (vgl. Direktion für Bildung, Soziales und Sport Stadt Bern, 2020) kann die Praxis bis anhin auf eine Reihe von Studien zurückgreifen, welche Gesundheitsnachteile für selektive Stichproben von Sozialhilfebeziehenden aufzeigen konnten (Haller & Hümbelin, 2013; Lätsch et al., 2011; Reich et al., 2015; Salzgeber, 2016). Es fehlt jedoch eine umfassende und empirisch abgesicherte Wissensgrundlage zum Gesundheitszustand von Sozialhilfebeziehenden in der Schweiz.

Approche

Die Studie untersucht erstmals schweizweit systematisch die gesundheitliche Lage von Sozialhilfebeziehenden und deren Bedeutung für Erwerbsintegration. Dafür wurde eine einmalige Datenbasis aufgebaut: längsschnittliche Registerdaten aus Sozialhilfestatistik, AHV-Individualkonten und IV-Rentenregister wurden mit Befragungsdaten aus Schweizerischer Gesundheitsbefragung, SILC und SAKE verknüpft. So stehen – je nach Indikator – bis zu 500’000 Beobachtungen über die Jahre 2007–2018 zur Verfügung. Die Analyse folgt vier Modulen. Erstens wird das Gesundheitsprofil von Sozialhilfebeziehenden mit IV-Beziehenden, Personen in prekären finanziellen Verhältnissen und der Restbevölkerung verglichen. Zweitens wird der Gesundheitsverlauf rund um Ein- und Austritte aus der Sozialhilfe sowie während länger dauernder Bezugsperioden untersucht. Drittens wird geprüft, wie oft und in welcher Form Sozialhilfebeziehende Gesundheitsleistungen nutzen und ob Hinweise auf Unter- oder Fehlversorgung bestehen. Viertens wird analysiert, wie gesundheitliche Einschränkungen die Chancen einer Erwerbsaufnahme beeinflussen. Die Studie verbindet damit populationsbasierte, repräsentative Datenquellen mit einer konsequent längsschnittlichen Perspektive und ermöglicht robuste Aussagen zur gesundheitlichen Situation dieser Zielgruppe.

Résultat

Die Ergebnisse zeigen ein klares Muster: Sozialhilfebeziehende haben einen deutlich schlechteren Gesundheitszustand als alle Vergleichsgruppen – insbesondere bei psychischer Belastung, Lebensqualität, Depressionssymptomen und starken Schmerzen. Das Gesundheitsverhalten ist risikoreicher, vor allem hinsichtlich Rauchen, Ernährung und Bewegung. Rund um den Sozialhilfeeinstieg verschlechtert sich der Gesundheitszustand nochmals spürbar, erreicht bei Bezugsbeginn ein Maximum und verbessert sich nach Austritt wieder. Während längerer Bezugsperioden zeigen sich hingegen keine systematischen Trends. Bei der Nutzung von Gesundheitsleistungen fällt ein ambivalentes Bild auf: Sozialhilfebeziehende beanspruchen deutlich häufiger ärztliche, stationäre und psychische Behandlungen als die Restbevölkerung, verzichten aber gleichzeitig wesentlich häufiger auf notwendige Untersuchungen, insbesondere zahnärztliche Leistungen. Für die Erwerbsintegration gilt: gesundheitliche Einschränkungen reduzieren die Chancen eines Wiedereinstiegs erheblich. Fünf Jahre nach Bezugsbeginn sind Personen ohne gesundheitliche Probleme fast doppelt so häufig wieder erwerbstätig wie gesundheitlich belastete Personen.

Perspectives

Die Ergebnisse zeigen klar, dass Sozialhilfebeziehende eine gesundheitlich besonders belastete Gruppe sind und damit prioritär in gesundheits- und sozialpolitischen Strategien berücksichtigt werden sollten. Gleichzeitig wird sichtbar, dass auch Personen in prekären finanziellen Verhältnissen, die kurz vor einem möglichen Sozialhilfebezug stehen, verstärkt in den Blick genommen werden müssen. Eine frühzeitige, gut erreichbare und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung könnte sowohl die dokumentierten Verschlechterungen des Gesundheitszustands als auch das Risiko einer späteren Abhängigkeit von Sozialhilfe mindern. Für die Praxis der Sozialdienste sprechen die Befunde für einen gezielten Ausbau des Gesundheitsmanagements, insbesondere im Hinblick auf Identifikation und Abbau von Unterversorgung. Dies erfordert vertiefte Analysen zu finanziellen, organisatorischen und kulturellen Hürden im Zugang zu gesundheitlichen Leistungen sowie gegebenenfalls Anpassungen der bestehenden Prozesse. Besonders relevant ist die frühzeitige Behandlung psychischer Belastungen, da diese nachweislich mit besseren Chancen der Erwerbsreintegration verbunden ist. Zusätzlich besteht Potenzial für gesundheitsfördernde Verhaltensinterventionen in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Tabakkonsum. Neue Angebote sollten sorgfältig evaluiert und bei nachgewiesener Wirksamkeit in der gesamten Schweiz implementiert werden, um eine nachhaltige Verbesserung der Gesundheit und Integration von Sozialhilfebeziehende

Ce projet contribue aux objectifs de développement durable suivants

  • 3: Accès à la santé