Behinderung und Wohnen

Mit der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvention steckte sich die Schweiz unter anderem das Ziel, das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderung zu fördern. Die BFH unterstützte diesen Prozess mit mehreren Studien.

Steckbrief

  • Beteiligte Departemente Soziale Arbeit
  • Institut(e) Institut Soziale Sicherheit und Sozialpolitik
  • Laufzeit 01.01.2018 - 31.01.2025
  • Projektleitung Prof. Dr. Tobias Fritschi
  • Projektmitarbeitende Prof. Matthias von Bergen
    Dr. Christoph Tschanz
    Olivier Tim Lehmann
  • Partner Institut Organisation und Sozialmanagement
    Bundesamt für Sozialversicherungen
    Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB
    Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK)
    Interface
    Evaluanda
  • Schlüsselwörter Behinderung, Beeinträchtigung, Wohnen, Finanzflüsse, Finanzierungsmodell, Spitex, Heim

Ausgangslage

Die Schweiz ratifizierte 2014 die UNO-Behindertenrechtskonvention, die für Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen fordert. Ein Themenfeld ist dabei das selbstbestimmte Wohnen. Die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Wohnen können sowohl in privaten als auch in institutionellen Wohnformen – z.B. einer Aussenwohngruppe ohne 24-Stunden-Betreuung – erfüllt werden. 

In der Schweiz sind die Kantone verpflichtet, Menschen mit Behinderungen institutionelle Wohnangebote zur Verfügung zu stellen. Dabei können drei grundsätzlich verschiedene Modelle der kantonalen Finanzierung unterschieden werden: Die pauschale Objektfinanzierung von Institutionen, die subjektorientierte Objektfinanzierung anhand der Auslastung und die Subjektfinanzierung, bei der Menschen mit Behinderungen die frei wählbaren Leistungen direkt vergütet werden.

Der Systemwechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung ist herausfordernd. Dabei spielen Beratung und Beratungsstellen eine zentrale Rolle, da sie Menschen mit Behinderungen den Zugang zu bedarfsgerechten Leistungen erleichtern und ihren Umgang damit unterstützen.

Vorgehen

Die Bestandesaufnahme des Wohnangebots für Menschen mit Behinderungen zuhanden des BSV zeigt auf, wie sich das Wohnangebot zwischen 2011 und 2017 quantitativ entwickelt hat und welche regionalen Unterschiede bestehen. 

Im Rahmen der Studie «Finanzflüsse und Finanzierungsmodelle im Bereich Wohnangebote für Menschen mit Behinderung» wurden Fallstudien in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen und Wallis durchgeführt. Sie verglich, wie weit die drei verschiedenen Finanzierungsmodelle das Ziel der Selbstbestimmung unterstützen. 

Im Rahmen einer Studie für den Kanton Zürich wurde anhand von Interviews mit Expert*innen und Selbstvertreter*innen sowie Online-Befragungen von Beratungsstellen ein SOLL-Beratungsbedarf ermittelt. Dieser erlaubt es Menschen mit Behinderung eine selbstbestimmte Auswahl von Betreuungs-Leistungen zu treffen.

Bestandesaufnahme des Wohnaufgebots

Die Quote privater Wohnsettings war 2017 in der Westschweiz mit 5.21 pro 1‘000 Einwohner*innen am höchsten und nimmt in der Deutschschweiz bis auf 3.41 in der Ostschweiz ab. Umgekehrt liegt in der Westschweiz die Quote institutioneller Wohnsettings mit 3.20 deutlich tiefer als in der Deutschschweiz.

Innerhalb des institutionellen Wohnens ist Anteil von Settings mit höherer Autonomie ist in der Zentralschweiz mit 58% am höchsten und in der Romandie mit 33% bedeutend tiefer. Zählt man die Anteile der verschiedenen autonomen Wohnformen zusammen, so sind die Unterschiede weniger gross. Je nach Region wohnen somit 68% bis 79% der Menschen mit Behinderungen in einem Wohnsetting mit höherer Autonomie. Der Unterschied zwischen den Regionen liegt somit nicht im Umfang des selbstbestimmten Wohnens, sondern in der Art der Umsetzung.
 

Finanzierung und Selbstbestimmung

Das Subjektfinanzierungsmodell scheint im Kantonsvergleich das private Wohnen am meisten zu fördern und den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am besten zu entsprechen. So kann der höhere Kostenanteil, welcher der Kanton Basel-Stadt leistet, ein Hinweis darauf sein, dass vergleichsweise mehr Leistungen in privaten Wohnformen bezogen werden – welche durch das subjektorientierte Modell finanziert werden. Diese stärken die Wahlfreiheit der Leistungsbeziehenden. Somit kann der höhere Anteil an Menschen mit Behinderung, die privat wohnen, als Ergebnis einer gesteigerten Selbstbestimmung im Kanton Basel-Stadt interpretiert werden.

Kriterien fürs Beratungsangebot

 

Beim Übergang in die angestrebten SOLL-Beratung treten verschiedene Spannungsfelder und Zielkonflikte auf. Diesen kann bei der Weiterentwicklung von Beratungsangeboten durch folgende Kriterien begegnet werden:

  • Beratungsarten: Um polyvalente Beratung zu Themen der Lebensgestaltung und des Wohnens zu ermöglichen, muss die Beratungsstelle Sozialberatung oder psychosoziale Beratung anbieten.
  • Beratungsthemen: Das Themenspektrum der Beratungsstelle muss breit genug sein, um auch das Thema Wohnen abzudecken, da spezifische Beratungsstellen hierzu selten sind.
  • Niederschwelligkeit: Beratung soll ortsunabhängig, aufsuchend, kostenfrei und ohne Anmeldung möglich sein, um den Zugang zu bedarfsgerechten Leistungen zu sichern.
  • Peer-Beratung: Diese ergänzt idealerweise professionelle Beratung, da Menschen mit Behinderungen sich besser angesprochen fühlen und Peer-Beratende spezifische Kompetenzen mitbringen.
  • Unabhängigkeit: Organisationen mit Beratungsstellen dürfen keine Interessenkonflikte durch eigene Wohnangebote haben.
  • Qualifikation und Qualitätssicherung: Tertiär qualifiziertes Beratungspersonal ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal, das von Menschen mit Behinderungen aber nur teilweise als wichtig erachten wird. Ein alternatives Merkmal zur laufenden Weiterentwicklung des Personals ist die Qualitätssicherung durch Intervision oder kollegiale Beratung.

Berichte und Artikel

Dieses Projekt leistet einen Beitrag zu den folgenden SDGs