Absolventin im Fokus: Flavia Flückiger

29.04.2022 Nachdem sie an der HKB einen Master als Konservatorin-Restauratorin absolviert hat, arbeitet Flavia Flückiger heute selbständig. Sie unterstützt als Assistentin Studierende im «Atelier Architektur» beim Finden von individuellen Lösungen.

Text: Helen Lagger (*)
Erschienen in: HKB-Zeitung 1/2022


Sie wohnt im Altbau, in einer Wohngemeinschaft in der Länggasse. Das ist wohl kein Zufall. Flavia Flückiger liebt gelebte Architektur. Die 30-Jährige ist selbständige Konservatorin-Restauratorin und hat ihren Master an der HKB 2018 abgeschlossen. «Ich wohne in einem Haus, das um 1900 gebaut wurde». Im Bad sei ein Kunststoffboden aus den Siebzigerjahren gelegen. Flückiger und ihre Mitbewohner*innen haben ihn rausgerissen. «Ein schöner Zementfliesenboden kam zum Vorschein.»

In ihrem Beruf als Konservatorin und Restauratorin löst sie weit kniffeligere Aufgaben. Flückiger hat sich 2020, zwei Jahre nach Abschluss ihres Studiums, selbstständig gemacht. «Ein bisschen verrückt muss man dafür schon sein.» Doch ihr gefalle es, eigene Projekte zu betreuen. «Ich möchte nicht nur ausführen.» Sie liebe das Knobeln und Ausprobieren. Je nach Auftrag zieht sie verschiedene Expert*innen bei. «Interdisziplinarität ist in unserem Gebiet wahnsinnig wichtig», so die Tochter eines Architekten und einer Grafikerin. «Jemand versteht viel von Putz, andere von Malerei.» Ihr Studium an der HKB bestand im ersten Teil aus viel Theorie, während die Studierenden in einem zweiten Teil, in Form von Blockwochen selbst Hand anlegen konnten. «Mir gefiel es mit der Zeit immer besser.» Ihr Fach sei in vieler Hinsicht ein Hybrid: Zwischen Wissenschaft und Kunstgeschichte, zwischen Handwerk und Theorie.

Seit 2021 unterstützt Flückiger an der HKB als Assistentin das «Atelier Architektur und Ausstattung», wo der Fokus des Restaurierens und Konservierens auf Räumlichkeiten liegt. «Zuerst geht es darum, dass man lernt zu beobachten», so Flückiger. Die Problemstellungen seien sehr unterschiedlich, aber eine Frage stehe fast immer im Raum: «Warum stimmt der Zustand nicht mehr mit der Intention des Werkes überein?» Während ihres eigenen Studiums widmete sie sich im Bachelor einer so genannten Befundsicherung in der jüdischen Abdankungshalle in Zürich. «Es war total faszinierend.»

Spannende Detektivarbeit

Ein anderer Auftrag den Flückiger im Masterstudium bestritt, betraf ein Schulhaus in Münsingen, bei dem es darum ging Wandgemälde des Schweizer Malers und Buchillustrators Hans Fischer (1909-1958) – vielen bekannt als der Schöpfer von «Pitschi» – zu restaurieren. Märchenhafte Motive und Tiere wiesen verschiedene Schäden auf, besonders jene im Aussenbereich, die der Witterung ausgesetzt gewesen waren. «Ein fehlendes Stück im Furnier war schon von einem anderen Restaurator ergänzt worden», so Flückiger. Auch das Recherchieren gehört beim Restaurieren dazu. Flückiger spricht von einer Detektivarbeit, wobei man oft gemeinsam mit anderen Expert*innen nach kreativen Lösungen suchen müsse. «Das macht es so spannend.» Flückigers eigenes Fachgebiet ist die Architektur. «Ich befasse mich viel mit Architekturoberflächen und Wandmalereien.» In Bauten des 19. Jahrhunderts gäbe es viele dekorative Elemente, wie Marmor-Imitationen oder Holzmaserierungen. «Man hat wertvolle Materialien imitiert.» Fehlstellen darin zu ergänzen, sei oft eine besondere Herausforderung.

Doch Flückiger ist nicht auf eine Epoche festgelegt. Gemeinsam mit einer Kollegin hat sie 2020 die Eisenplastik «Tell» (1966) von Bernhard Luginbühl retuschiert. «Die Plastik stand seit 50 Jahren draussen, neben einer vielbefahrenen Strasse», so Flückiger. Dementsprechend sei die Oberfläche schmutzig und voller Moos und Flechten gewesen. «Es ging bei dieser Restaurierung vor allem darum die Malschicht zu reinigen und zu festigen». Zu Aufträgen kommt die Jungunternehmerin oft, weil Architekten oder die Denkmalpflege sie weiterempfiehlt. «Die ist eigentlich bei jedem Projekt involviert.» Objekte oder Räume der Moderne zu restaurieren, möchte sie auch in Zukunft vermehrt tun.

Viel auf Baustellen

Ihr Beruf sei ein noch recht junger, so Flückiger. Und er befinde sich im Wandel. «Man ist zurückhaltender geworden und hat heute viel mehr Möglichkeiten.» Auch das Thema Nachhaltigkeit werde immer wichtiger. «Heutige Restaurator*innen versuchen vermehrt Materialien zu benutzen, die für Mensch und Umwelt unbedenklich sind.» Sie selbst setzt, wenn möglich auf den öffentlichen Verkehr oder bildet mit Kolleg*innen Fahrgemeinschaften, wenn sie für Aufträge quer durch die Schweiz fahren muss. Altes zu erhalten hat jedoch schon immer zu ihrem Metier gehört. «Was gibt es Nachhaltigeres», fragt sie rhetorisch.

Sie selbst wollte anfangs eher in Richtung Gestaltung gehen und besuchte den Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Biel. «Ich habe rasch gemerkt, dass mich das Handwerk und die Technik mehr fasziniert als das selber Gestalten.» Heute ist sie oft auf Baustellen anzutreffen. «Ich mache momentan viele Farbuntersuchungen für die Denkmalpflege oder verschiedene Architekt*innen.» Im letzten Jahr durfte sie zusammen mit einer Arbeitskollegin in einem um 1900 gebauten Hotel eine Decke restaurieren. «Es war ein sehr schwieriger Auftrag, denn die Decke war voller statisch bedingter Risse.» Ihr Vorgänger hatte über die Risse kleine Blätter gemalt. «Wir sahen die Lösung darin, die Decke optisch zu beruhigen.»

Selbstverständlich sei es schön, wenn man die ersten sei, die sich an ein Objekt wagen. Aber Flückiger weiss: «Alte Restaurierungen, gehören zur Geschichte eines Objekts und können ebenfalls erhaltenswert sein.» Natürlich habe sie eine déformation professionelle und schaue sich jeden Raum, den sie betrete mit den Augen einer Restauratorin an. «Es ist schwierig das abzulegen.» Aber sie möge auch andere Formen der Kultur, bei der sie einfach nur geniessen könne. «Ich gehe leidenschaftlich gerne in Museen oder ins Kino.» Ihre Liebe zum Fotografieren kann sie während der Arbeit ausleben. «Wir müssen viel dokumentieren. Die Kamera habe ich immer dabei.»

Flavia Flückiger steht in ihrem Atelier Bild vergrössern
Flavia Flückiger