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Fatigue bei Herzinsuffizienz: Die unsichtbare Erschöpfung
19.11.2025 Fatigue ist bei vielen Menschen mit chronischer Herzinsuffizienz ein belastendes, aber oft übersehenes Symptom. Sie prägt den Alltag körperlich, psychisch und sozial, bleibt aber in der Versorgung oft im Hintergrund. Personzentrierte Ansätze können helfen, Fatigue sichtbar zu machen.
Das Wichtigste in Kürze
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Fatigue ist ein häufiges, aber oft übersehenes Symptom bei Herzinsuffizienz. Sie beeinflusst das körpferliche, psychische und soziale Leben der Betroffenen tiefgreifend.
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Personzentrierte und interprofessionelle Ansätze helfen, Fatigue sichtbar zu machen, individuell zu verstehen und gezielt zu lindern.
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Durch frühzeitige Erfassung, alltagsnahe Unterstützung und digitale Begleitung können Versorgungslücken geschlossen werden.
«Mir sieht man [es] nicht an. Das ist vielfach ein Problem.» So beschreiben Betroffene ihre Fatigue. Rund 200'000 Menschen in der Schweiz leben mit einer chronischen Herzinsuffizienz. Viele von ihnen leiden unter ständiger Erschöpfung und haben Strategien entwickelt, um den Alltag meistern zu können. Dennoch bleibt die Belastung allgegenwärtig.
Eine Ist-Analyse der Akademie-Praxis-Partnerschaft (APP) der BFH und der Insel Gruppe zeigte: Fatigue wird in Konsultationen selten systematisch erfasst und bislang oft nur am Rande berücksichtigt.
«Im Austausch mit anderen [Betroffenen] habe ich gemerkt, dass die anderen es auch haben.»
Wenn Fatigue untergeht
Zwar zeigen viele Fachpersonen eine Grundsensibilität und kennen einzelne Instrumente, doch sie setzen diese nicht routinemässig im Beratungsprozess ein. Das Thema bleibt im Gespräch zweitrangig. Oft wird Fatigue auf mögliche Ursachen reduziert, ohne dass gezielte Unterstützung erfolgt.
Für Betroffene wirkt das so, als würde ihr Erleben nicht ernst genommen. Erst im Gespräch mit anderen wird ihnen klar, wie verbreitet das Symptom ist: «Im Austausch mit anderen [Betroffenen] habe ich gemerkt, dass die anderen es auch haben.» Eine Person beschrieb, wie stark die Fatigue ihren Alltag bestimmt: «Ich plane meinen Tag um die Erschöpfung herum.»
«Ich plane meinen Tag um die Erschöpfung herum.»
Personzentrierung – mehr als Symptomkontrolle
Diese Aussagen verdeutlichen, wie sehr Fatigue die Lebensgestaltung, das Selbstbild und soziale Teilhabe beeinflussen. Fatigue ist also mehr als ein medizinisches Symptom. Ein personzentrierter Ansatz fragt unter anderem: Wie beeinflusst Fatigue den Alltag? Welche individuellen Strategien helfen den Betroffenen, um trotz Erschöpfung aktiv zu bleiben?
Studien zeigen, dass nicht-medikamentöse und personzentrierte Interventionen das Symptom Fatigue bei chronischer Herzinsuffizienz wirksam reduzieren können, wenn sie auf die Lebenssituation der Betroffenen zugeschnitten sind.
Teamarbeit wirkt:
Wenn verschiedene Fachpersonen aus Medizin, Pflege, Physiotherapie oder Psychologie eng zusammenarbeiten, sinkt die Zahl der Spitaleinweisungen. Gleichzeitig steigt die Lebensqualität, und auch das Sterberisiko von Menschen mit Herzinsuffizienz kann reduziert werden – besonders, wenn weitere Erkrankungen vorliegen (Boulet et al., 2019).
Rehabilitation mit Alltagshilfe:
Programme, die Energiemanagement und konkrete Problemlösungsstrategien vermitteln, sind in Kliniken, aber auch per Video oder Telefon möglich. Sie helfen, Fatigue und Lebensqualität spürbar zu verbessern. Ergänzend können Methoden wie Entspannung, Bewegung oder auch Massage die Wirkung verstärken (Gede et al., 2023).
Mit Energie haushalten:
Beim sogenannten Pacing lernen Betroffene, ihre Kräfte gezielt einzuteilen und Überlastung zu vermeiden (White et al., 2011). Auch moderate Bewegung und Veränderungen im Lebensstil gehören zur bewährten Basisversorgung und haben nachweislich positive Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden (Ashley et al., 2023).
Digitale Unterstützung:
Zusätzliche telefonische Betreuung kann gezielt die Motivation steigern, wie Messungen mit dem Multidimensional Fatigue Inventory (MFI-20) zeigen. Aktuell werden auch digitale Plattformen getestet, die mit strukturiertem Telefon-Support kombiniert sind. Dieser moderne E-Health-Ansatz soll eine personzentrierte Versorgung erleichtern (Ali et al., 2020).
Potenzial nutzen, Praxis gestalten
Ein nächster Schritt ist, bestehende Angebote – etwa Advanced Practice Nurses oder kardiologische Rehabilitation – um fatiguespezifische Inhalte zu erweitern. Digitale Tools können zusätzlich eingesetzt werden, um sogenannte Blended-Care-Modelle zu entwickeln, die Alltag und Therapie verbinden. Entscheidend sind dabei Personalisierung und Koordination, da Fatigue sehr individuell ist und starre Programme zu kurz greifen. Personzentrierung zeigt sich in der Anpassung der Massnahmen und in einem partizipativen Vorgehen, bei dem Betroffene aktiv mitentscheiden. Darüber hinaus benötigt es strukturelle Unterstützung durch Netzwerke sowie kontinuierliche Weiterbildung, um Fachpersonen zu sensibilisieren und ihre Handlungskompetenzen zu stärken.
Kleine Schritte für nachhaltige Wirkung
Die APP plant derzeit, digitale Fatigue-Module in bestehende Rehabilitationsprogramme zu integrieren und ihre Wirksamkeit zu evaluieren. Ziel ist, Versorgungslücken zu schliessen, Betroffene zu stärken und Fachpersonen im Alltag zu unterstützen. Bei diesem Vorhaben arbeiten Praxis und Forschung eng zusammen. Die BFH bringt wissenschaftliche Expertise und Evidenz ein, das Inselspital die Erfahrung aus der direkten Versorgung. Besonders wichtig ist dabei die Zusammenarbeit von Pflege, Medizin, Psychologie und weiteren Disziplinen. Nur so kann Fatigue nicht allein als Symptom, sondern als komplexes Alltagsphänomen verstanden und behandelt werden.
Referenzen
Personzentrierte Gesundheitsversorgung – Notwendigkeit oder Ideal?
Personzentrierte Versorgung stellt die individuellen Bedürfnisse, Werte und Lebensumstände der Patient*innen ins Zentrum medizinischer Entscheidungen. Sie gilt als Schlüssel zu einer menschlicheren, wirksameren und nachhaltigeren Gesundheitsversorgung, doch der Weg dorthin ist komplex. Zwischen Idealbild und Alltagspraxis gilt es, Chancen und Hürden realistisch abzuwägen: Wie lassen sich Strukturen, Abläufe und Haltungen verändern, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen? Unsere Beiträge zeigen anhand konkreter Projekte, wo dies bereits gelingt, welche Stolpersteine es noch zu überwinden gilt und welche Schritte nötig sind, um Person-centered Care im Gesundheitswesen zu verankern.