• Story

HKB-Studierende Lyna Beggah und Alessandro Ferrari befragt 

13.06.2025 Das Künstlerduo Lyna Beggah und Alessandro Ferrari studiert im letzten Jahr Contemporary Arts Practice an der HKB. Die beiden sprechen über ihr Masterprojekt, welches am CAP-Festival gezeigt wird.

Zwei junge Personen sitzen vor einer weissen Wand mit vielen Schubladen. Links: Eine junge Frau mit lockigen, dunklen Haaren. Rechts: Ein junger Mann mit Brille. Im Vordergrund ist ein Teil ihrer Installation bestehend aus dünnen Ästen in verschiedenen Erdtönen aus Keramik.
Lyna Beggah und Alessandro Ferrari in der Werkstatt an der Fellerstrasse. Foto: Tina Schück / HKB

2022 bildeten Lyna Beggah und Alessandro Ferrari ein Künstlerduo. Beide haben ihr Bachelor-Studium an der Ecole de design et haute école d'art du Valais abgeschlossen, bevor sie ihr Studium an der HKB fortsetzten. Sie befinden sich nun in der Endphase ihres Masterprojekts. Wir haben uns mit dem Duo in der Werkstatt an der Fellerstrasse getroffen, wo es an einer grossen Metallkonstruktion für ihr Projekt arbeiten. 

Ihr schliesst diesen Sommer euer Master-Studium ab. Was wird euch von den vergangenen Jahren an der HKB in Erinnerung bleiben?  

Alessandro: Gute Frage. (an Lyna gerichtet) Möchtest du antworten? 

 

Lyna: Ich weiss nicht. Willst du? 

 

Alessandro: Für uns war das Beeindruckendste am CAP die Beziehungen, die wir zu anderen Leuten aus unserer Klasse und zu unseren Mentoren aufgebaut haben, die unsere künstlerischen Projekte begleiteten. Ein weiterer Grund, den Master zu beginnen, war, ...

 

Lyna: ... unsere künstlerische Arbeit als Duo zu erweitern, mehr gemeinsame Projekte als Duo zu realisieren. Bevor wir mit CAP begonnnen haben, hatten wir nur wenige Projekte zusammen gemacht.  Hier hatten wir die Möglichkeit, mehr Projekte zu machen und zudem mit anderen Künstlern zu arbeiten. Es war also eine sehr interessante Erfahrung für uns. 

 

Alessandro: Ja, der ganze Raum, den uns das CAP gegeben hat, um zu experimentieren und viele Dinge gemeinsam zu tun. Auch die neuen Erfahrungen, wie das Schreiben der Abschlussarbeit, waren wirklich gut. 

«Es ist also eine Geschichte über Aufopferung, Widerstandsfähigkeit und Widerstand gegen Unterdrückung.»

  • Alessandro Ferrari

Könnt ihr uns etwas über die Bedeutung des Projekts erzählen?

Lyna: Ich habe ein Buch mit dem Titel «The Colonial trauma» von Karima Lazali gelesen, das die Gewalt der französischen Siedler in Algerien thematisiert. In diesem Buch entdeckte ich ein Ereignis aus dem Jahr 1880, als französische Siedler beschlossen, allen in Algerien lebenden indigenen Stämmen neue Familiennamen zu geben, um die Menschen von ihrer Geschichte, ihren Traditionen und ihrem Wissen zu trennen, um mehr Kontrolle über sie zu haben. Nachdem ich mit meiner Familie gesprochen hatte, erfuhr ich, dass mein ursprünglicher Familienname «Beni Foughal» war. Er stammt von einem Stamm, der in den Wäldern in der Nähe der Stadt Jijel an der Ostküste Algeriens lebte, woher meine Eltern stammen. Als die französischen Siedler kamen, nahmen sie den Wald in Besitz und begannen mit der Abholzung, wobei sie die Eingeborenen zwangen, für sie zu arbeiten. 

 

Meine Familie wusste nicht viel über die Umbenennung, aber sie verwies mich auf die Website benifoughal.com, auf der ich viele Informationen über den Stamm meiner Vorfahren fand. Ein Jahr nach der Umbenennung gab es ein interessantes Ereignis. Vielleicht möchtest du fortfahren? 

 

Alessandro: Hast du schon über die Brände gesprochen? Nein? Ok, also wir arbeiten hauptsächlich an einer grossen Installation, die aus verschiedenen Skulpturen und Texten besteht. Das Hauptstück wird aus sechs bis sieben kleinen Feuern bestehen, die aus Keramik gefertigt sind. In diesem Teil stellt die Installation die grossen Brände dar, die 1881 – ein Jahr nach der Umbenennung, wie Lyna sagte – die Wälder zwischen den Städten Béjaïa und Jijel niederbrannten. Die Brände wurden wahrscheinlich von den indigenen Stämmen gelegt, die im gesamten Waldgebiet lebten. Sie begannen kurz nacheinander, was darauf hindeutet, dass es ein Signal zum gleichzeitigen Anzünden gegeben hat. Auf der Website haben wir einen Zeitungsartikel aus «Le monde Illustré» vom September 1881 gefunden, der dieses Ereignis beschreibt. Wir finden diese Geschichte sehr ergreifend: Die Indigenen nutzten die Brände, um die französischen Siedlungen anzugreifen, und opferten dafür ihr eigenes Territorium. 

 

Es ist also eine Geschichte über Aufopferung, Widerstandsfähigkeit und Widerstand gegen Unterdrückung.   

 

Der andere Teil der Installation führt uns zurück in die unruhige jüngere Geschichte Algeriens und in die heutige Zeit. Zwei Metallbarrieren symbolisieren militärische oder polizeiliche Strassensperren. Lynas Vater ging mit einigen seiner Onkel zurück in den Wald, um nach Grundstücken zu suchen, die noch ihnen gehören, und sie stiessen auf einen Militärstützpunkt. Es war uns wichtig zu zeigen, dass der Wald für die ursprüngliche indigene Bevölkerung, die dort jahrhundertelang lebte, immer noch nicht vollständig zugänglich ist und die kolonialen Narben in der heutigen Zeit immer noch sichtbar sind. 

Habt ihr ein bestimmtes Ziel für dieses Projekt?  

Alessandro: Ich denke, dieses Projekt steht in engem Zusammenhang mit dem, woran wir bereits während der Masterthesis gearbeitet haben, und es hat viel mit Identität und Entkolonisierung zu tun. Die Forschung zum Thema Entkolonisierung und dem «Myth of Modernity» war zunächst einer der Schwerpunkte der Thesis und nun der Installation, an der wir arbeiten. Obwohl wir sehr unterschiedliche Herkunfthaben, haben wir bei der Entwicklung dieses Projekts durch die Recherche über unsere persönlichen Geschichten viele Gemeinsamkeiten gefunden. 

  

Lyna: Wir haben uns auch von einem Satz aus dem Buch «A programme of absolute disorder» von Françoise Vergès inspirieren lassen. Sie hatte diesen schönen Satz, der vom Leben in den Ruinen spricht. Das ist etwas, das uns seit Beginn des Projekts interessiert hat. 

  

Alessandro: Der Satz war eine Art Mantra, mit dem wir in der Diplomarbeit gearbeitet haben und mit dem wir im Projekt weiterarbeiten. Wie kann man inmitten von Ruinen leben? Wie kann man sich nicht hoffnungslos fühlen ... 

Ein junger Mann und eine junge Frau arbeiten an einer Metallkonstruktion mit Pinseln.
Alessandro Ferrari und Lyna Beggah arbeiten an ihrer Metallkonstruktion für das Masterprojekt. Foto: Tina Schück / HKB

Was war bisher die grösste Schwierigkeit bei der Arbeit an eurem Masterprojekt?  

Alessandro: Ich glaube, die grösste Schwierigkeit war, die richtige Form zu finden. Wir wollten alles in das Projekt einbringen. Aber das ist natürlich nicht möglich. In künstlerischen Studien würden wir sagen: Reduzieren, minimieren und nochmals reduzieren. Man muss zusammenfassen, reduzieren. Das ist wirklich schwierig, denn die Entscheidung, was im Projekt bleibt, und was wegmuss, birgt Konfliktpotenzial. 

Bei wie vielen Projekten habt ihr bisher zusammengearbeitet?  

Alessandro: Ich glaube, wir haben acht bis neun Projekte zusammen gemacht. Ah, du willst zählen. 

 

Lyna (zählt die Projekte an ihren Fingern ab): Ja, um genau zu sein. Also, wir haben sieben Projekte zusammen gemacht. Und ich denke, die Herausforderungen sind, wie Alessandro schon sagte, dass wir viele Diskussionen führen, was wir machen wollen und was für jeden von uns wichtig ist. Wir müssen Kompromisse eingehen, damit wir beide mit dem Ergebnis zufrieden sind. Wir diskutieren viel, das ist Teil des Prozesses. Manchmal verbringen wir den ganzen Tag damit, über das Projekt zu sprechen, und am Ende des Tages sind wir uns einig: Oh mein Gott, das Projekt raubt uns zu viel Zeit in unserer Freizeit. Es ist manchmal schwer, die Arbeit von der Freizeit zu trennen. 

Die Installation von Lyna und Alessandro ist am CAP-Festival « On ne peut pas cacher le soleil » vom 19. bis 25. Juni zu sehen. 

Mehr erfahren