HKB-Studentin Anna Beatriz Gomes befragt

27.03.2024 Was macht ein Opernstudium aus? Wir haben mit der zielstrebigen Sopranistin aus Brasilien darüber gesprochen. Sie freut sich sehr auf ihre Abschlussproduktion, die am 1. und 2. Juni in Biel zu sehen sein wird.

Portrait der jungen Frau im Querformat. Sie blickt  direkt in die Kamera und lacht. Sie trägt ihr langes, braunes Haar offen. Sie trägt eine weisse Bluse und darüber einen schwarz-weiss-gemusterten Pullunder .
Anna Gomes im Treppenhaus der Bourg Biel/Bienne. Foto: HKB / Tina Schück

Anna Beatriz Gomes aus São Paulo, Brasilien hat zunächst von 2011 und 2017 am Souza Lima Music Conservatory studiert, danach drei Jahre lang die Drama School Célia Helena Arts School besucht und schliesslich zwei Jahre am Operastudio Theatro São Pedro verbracht. Sie hat danach zwei Jahre als Solistin mit Orchester gearbeitet. Im Juni 2021 ist sie für die Sommerfestspiele an der Berlin Opera Academy nach Europa gekommen. In Berlin hat sie Deutsch und Gesang vertieft und sich für eine weitere Ausbildung vorbereitet. Als frischgebackene Preisträgerin des italienischen Trentino Musikfestival kam sie schliesslich 2022 in die Schweiz und an die HKB.

Es ist ein kühler, regnerischer Märztag. Die fröhliche und begeisterungsfähige Anna führt uns durch die Bourg, dem Bieler Gebäude, indem die Oper und Musik und Bewegung ihre Räumlichkeiten haben. Das Gespräch führen wir im Treppenhaus, dem Verbindungselement.

«Meine Traumrollen sind Zerbinetta aus Ariadne auf Naxos von Richard Strauss und Ophelie aus Hamlet von Ambroise Thomas. Diese muss ich unbedingt singen und danach kann ich sterben.»

Anna Gomes

Anna, du hast bereits viel studiert und gesungen. Wie kommt es dazu, dass du eine zweite Gesangsausbildung machst?

Ich habe schon so viel in Brasilen gesungen, aber wenn man die Gelegenheit bekommt und Zeit hat nach Europa zu kommen, muss man sie nutzten. Oper und Theater sind hier Tradition. Vor drei Jahren bin ich nach Europa gekommen, denn trotz meiner bis dahin gesammelte Erfahrung wollte ich mich weiterentwickeln. Mir war mit 24 Jahren bewusst, dass viele Opernsänger*innen einen Master haben, dass aber auch ein Opernstudio gut wäre. Als ich vom Studium an der HKB in der Schweiz gehört habe, wo man gleichzeitig zum Master das Opernstudio machen kann, war es für mich klar. Das Studium hier ist deshalb sehr besonders. Es bietet für mich ausserdem eine sehr gute Gelegenheit, Leute kennenzulernen und mein Niveau zu einem anderen Niveau zu bringen, mein Deutsch zu verbessern und viel deutsches und verschiedenes Repertoire zu singen.

Das braucht ziemlich viel Mut hast. Hast du schon Deutsch gelernt in Brasilien?

In der Pandemie habe ich mit Deutsch angefangen. Das war so schwierig, weil alles online war. Ich habe viele Serien auf Deutsch geschaut und viel deutsche Musik gehört. Bei meiner Ankunft in Europa war mein Sprachniveau höchstens auf B1. So im Alltag ist es anders und so habe ich während meines einjährigen Aufenthaltes in Berlin viel dazu gelernt. Ich habe viel gesungen und fünf Stunden täglich für meine Deutschkenntnisse eingesetzt und arbeite natürlich noch immer daran. Manchmal muss man für Opernproduktionen nicht nur singen, sondern auch richtig gut sprechen können. In My Fair Lady, die Produktion, in der ich letztes Jahr mitgewirkt habe, hat es so viel Text! Dies war mein professionelles Deutsch Debüt. Oder auch Heidi feiert Weihnachten, das ich hier in Biel aufgeführt habe, wäre für mich nicht möglich gewesen ohne meine Sprachkenntnisse.

Die Sprache ist in deinem Beruf also wichtig. In der Muttersprache zu singen wäre einfacher. Was war dein Beweggrund?

Ich habe immer grosse Ziele gehabt und deswegen habe ich mich entschieden, nach Europa zu kommen. Ich interessiere mich für Kulturen und für Sprachen. Zudem ist die Operntradition Europas wie bereits gesagt, gross und die Dichte an Theatern und Opernhäusern beträchtlich grösser als in den USA oder Brasilien. Damit man die Gefühle und den Kontext versteht und auch vermitteln kann, muss man die Sprache beherrschen. Ansonsten muss man das Werk übersetzen und dies macht die Arbeit komplizierter. Nach Europa zu kommen ist zwar ein grosses Ziel, aber es ist sehr wichtig.

Deine Entscheidung nach Biel zu kommen an die HKB hast du sichtbar nicht bereut. Was gefällt dir besonders an diesem Studium?

Dass man so viel singt! In anderen Studienangeboten gibt es zu viel Theorie, sodass man am Ende zwar einen Master in Gesang hat, ohne dass man so viel gesungen hat. An der HKB und insbesondere im Masterprogramm Oper hat man die Gelegenheit zu singen wirklich. Wir singen von Montag bis Freitag den ganzen Tag und wir haben eine gute Balance zwischen Theorie und Praxis. Ausserdem machst du auch ein Praktikum. Auf der Bühne zu sein, ist es etwas wirklich Besonderes. Damit entwickelt man sich stark. Ich habe mich für die HKB entschieden, weil ich so viel singen kann und ich meinen Gesang entwickeln wollte. Wir machen jede Woche ein Vorsingen-Training. Das hat mir so viel geholfen, als ich zum Beispiel die Rolle der Eliza in My Fair Lady vorbereitet hatte. Alle Lehrer*innen hier haben mir so viel geholfen mit der Vorbereitung. Wir haben auch Diktion mit einer wunderbaren Lehrerin Anna Magdalena Fitzi. Wir arbeiten nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Italienisch oder Französisch, wir haben auch wir haben auch Schauspielunterricht und szenische Arbeit mit Fachbereichsleiter Mathias Behrends. Das finde ich so wichtig. Heutzutage müssen Opernsänger*innen nicht nur gut singen, sondern auch gut spielen können.

Mehr zur Laufbahn von Anna Gomes

Anna Beatriz Gomes begann ihr Studium in São Paulo und startete ihre Karriere am Opernstudio des Theatro São Pedro 2016. Dort tauchte sie im Alter von 18 Jahren zum ersten Mal in die Opernwelt ein und debütierte in mehreren Opern, darunter Albert Herring als Emmie, Monsieur Choufleuri als Ernestine, Le Nozze di Figaro als Barbarina, Die Zauberflöte als Papagena und La Cenerentola als Clorinda. Im selben Jahr wurde die Produktion von Albert Herring zum Winterfestival in Campos de Jordão eingeladen.

2018 debütierte sie beim Santa Catarina Music Festival als Feu in L'Enfant et les Sortilèges, ein Jahr zuvor sang sie die Rolle der Catalina in der Weltpremiere der Zarzuela Tres Sombreros de Copa von Ricardo Llorca im Teatro Sérgio Cardoso in São Paulo, Brasilien.

2019 und 2020 gab sie 100 Konzerte als Solistin des Orquestra Bachiana Filarmônica in Brasilien. Im Jahr 2021 debütierte sie als Königin der Nacht in Die Zauberflöte sowie als Adele in Die Fledermaus an der Berlin Opera Academy. Ausserdem erreichte sie die zweite Runde des renommierten internationalen Gesangswettbewerbs Neue Stimmen in Berlin. 2022 war Anna Beatriz Gomes Preisträgerin des italienischen Trentino Music Festival Wettbewerbs, wo sie auch die Rolle der Königin der Nacht übernahm und ihr Debüt als Virtù in L'incoronazione di Poppea gab.

Zum Studierendenporträt

Wie können wir uns deine Abschlussarbeit vorstellen und wie laufen die Vorbereitungen für eine Abschlussprüfung?

Unsere Abschlussprüfung ist «La finta giardiniera» von Wolfgang Amadeus Mozart und ich werde die Rolle der Sandrina singen. Es wird eine sehr tolle Produktion mit acht oder mehr Sänger*innen sein. Es wird etwas Modernes, aber auch mit der traditionellen Musik von Mozart. Save the date: 1. und 2. Juni 2024 im TOBS Theater Orchester Biel Solothurn. Es wird sehr toll, wir machen die ganze Oper mit nur wenigen Streichungen.
Neben der Produktion schreiben wir auch eine Thesis. Ich befasse mich mit drei verschiedenen Rollen: Zerbinetta von Richard Strauss, Cunegonde von Leonard Bernstein und Ophélie von Thomas Ambroise. Ich vergleiche die drei und spreche über ihre Rollen in der Gesellschaft. Es sind unterschiedliche Frauen, die ich in meiner Arbeit vergleiche. Dazu gehört auch das Gegenüberstellen von Dramaturgie, Zeit, Stil, Sprache der drei Werke.

Zur Veranstaltung «La finta giardiniera»

Wie laufen die Vorbereitungen für diese Abschlussproduktion. Da braucht ihr ja sicher Kostüme und Requisiten für die für die Aufführung, woher nimmt ihr die?

Für Requisiten und Kostüme haben wir den Fundus. Wir benutzen die Sachen, die sie über viele Jahre gesammelt haben. In der szenischen Arbeit suchen manchmal im Fundus etwas. Auch die Requisiten sind toll. Im Opernstudio macht man auch ein eigenes Projekt, also ein Projekt, das zu 100% von Studierenden ist. Ich habe das im ersten Jahr gemacht. Es war eine grosse Sache. Das war hier ein grosses Projekt in Biel mit Leuten aus Musik und Bewegung und vom Opernstudio. Wir hatten fast alles vom Fundus genutzt.  

Du hast grosse Ziele. Was ist dein ultimatives Karriereziel?

Mein Ziel ist mein höchstmögliches Niveau als Künstlerin zu erreichen: Eine Opernsängerin in Europa zu sein und in vielen Theater zu singen – also in den grössten Theatern natürlich auch – aber mein «basic» Ziel ist wirklich von meinem Gesang Vollzeit zu leben und an viele Produktionen mitzuwirken. Ich möchte viel Koloratur-Rollen singen. Meine Traumrollen sind Zerbinetta aus Ariadne auf Naxos von Richard Strauss und Ophelie aus Hamlet von Ambroise Thomas. Diese muss ich unbedingt singen und danach kann ich sterben. (lacht)

Szene auf der Bühne mit weissem Kunstschnee und der Figur Heidi mit langem Mantel.
Anna Gomes spielte während eines Praktikums «Heidi» im Stadttheater Biel Solothurn. Foto: Konstantin Nazlamov