HKB-Studentin Anuk Schmelcher befragt

28.04.2023 Die Sound Arts Diplomandin spricht über das Liedermachen und ihre Überlegungen zu neuen Formaten des kollektiven Hörerlebnisses. Sie erzählt auch, wie es zu ihrer Teilnahme am m4musicaward gekommen ist.

Die Musikerin steht vor einem Haus in grüner Umgebung. Sie trägt ein dunkelblaues Oberteil, einen knallblauen Schal, eine Brille und eine Schirmmütze
Foto: HKB / Linus Küng

Über die Bieler Musikerin war in letzter Zeit in verschiedenen Zeitungen zu lesen, denn sie hat dieses Jahr beim m4musicaward mit «Power» in der Kategorie «Pop» gewonnen und zudem den Hauptpreis «Demo of the Year» abgeräumt. Neben ihrem Songwriting spielt sie als Schlagzeugerin im Trio Obliecht, mit dem sie am 3. Mai in der Stanzerei in Baden ihre erste Platte tauft. Mit dem Songwriting hat Anuk bereits als 10-jähriges Kind begonnen. Ihre Arbeit in der Populären Musik basiert auf klaren Song-Strukturen. Im Kontrast dazu hat sie sich in ihrem Studium an der Hochschule der Künste Bern HKB auf experimentelle Musik und Arbeitsweise eingelassen. Sie schliesst diesen Sommer ihr Bachelorstudium Sound Arts ab – ihre praktische Abschlussarbeit kann im Rahmen der Diplomveranstaltungen der HKB gehört werden. Diese werden Mitte Mai unter hkb.bfh.ch/diplome23.ch abrufbar sein.

Wie kam es zu deiner Teilnahme am m4musicaward?

Eine Freundin hat mich motiviert, etwas einzusenden. Ich wusste nicht, dass es nur Demos sind. Offenbar wurde aber dieses Jahr viel bereits publizierte Musik eingereicht – ich war also nicht alleine. Pro Genre hat die Jury 15 Personen nominiert und schriftlich darüber informiert. Am ersten Tag des Award-Wochenendes gab es Live-Sessions, bei denen ich als erstes an der Reihe war. Später am Tag haben sie von jedem Genre die Namen der Dreien auf Instagram verkündet, die ins Finale einziehen durften. Am zweiten Tag gab es Konzerte, Pannels und am Abend schliesslich die Awardshow.

Wie bist du zur Musik gekommen, wie zur HKB und wie zum Bachelor Sound Arts?

Ich habe ein sehr grosses Glück gehabt, mit Musik aufwachsen zu dürfen. Mein Vater war Schlagzeuger; es war also ein Schlagzeug da. Zudem gab es ein Klavier und eine Gitarre. Von früh auf habe ich mit diesen Instrumenten experimentiert und mit sieben bin ich in den Klavierunterricht gegangen. Als 10-Jährige habe ich das erste Aufnahmegerät geschenkt bekommen und mit 11 Jahren habe ich auf dem iPod mit Garage Band anhand Schichtungen von Stimmen, Klavier, Gitarre und Schlagzeug Lieder aufgenommen. Das war irgendwie «ungewählt» – ich bin da hineingewachsen und es war mein Alltag. Wie ich heute realisiere, sind diese Zugänge überhaupt nicht selbstverständlich. (lacht)
Ich wollte keine zusätzliche Musik in der Schule machen und habe Sprachen als Schwerpunkt gewählt, aber nach dem Gymnasium und einem Jahr Auszeit habe ich mich doch für ein musikalisches Studium entschieden. Ich wusste, was ich nicht wollte: ein Pop-, Jazz- oder Klassikstudium. Bei meiner Recherche bin ich auf den Bachelor Sound Arts an der HKB gestossen und obwohl ich nicht genau wusste, was Sound Arts ist, habe ich mich für diesen Studiengang beworben. Die Aufnahmeprüfung mit den klaren Vorgaben hat mir Freude bereitet und so habe ich mich auf das Studium eingelassen. Nach dem ersten Jahr habe ich ein Jahr ausgesetzt, sodass ich meine EP aufnehmen konnte. Während der gesamten Studienzeit kam mir meine eigene Einstellung immer wieder etwas in die Quere: Irgendwie schien meine Musik nicht so zum Experimentellen, was im Sound Arts Studium gefördert wird, zu passen. Für mich war das Studium eine gute Übung, offen zu sein und anderes auszuprobieren.

Was ist dein Hauptinteresse an der Musik?

Das verbindende Element in meinen unterschiedlichen Arbeiten ist das Zuhören. Dieses untersuche ich vor allem mit der Tonaufnahme, die es mir erlaubt, Gehörtes und/oder Gespieltes immer wieder anzuhören und in einen neuen Kontext zu setzen. Auch bei der Komposition, sei es von einem Song, einer Filmvertonung oder von einem 40-minütigen Harmonium-Stück, ist es die Praxis des Zuhörens, die mich interessiert. Hinhören, Resonanzen wahrnehmen, den Klängen einen Raum geben, Platz lassen, nachempfinden, aufzeichnen, nochmal anhören. Da meine Arbeit schlussendlich vor allem als Aufnahme existiert, beschäftigt mich die Frage, wie ich diese mit einem Publikum teilen kann. Das simple Streamen kommt für mich nicht in Frage. Ich suche nach Hörräumen, in denen eine kollektive Hörerfahrung stattfinden kann. Musikhören ist sonst eher eine private Angelegenheit: zuhause im Wohnzimmer, unterwegs im Zug, zum Einschlafen, mit Freund*innen eine Platte hören, etc. Ich empfinde es als wichtig, der Aufnahme einen öffentlichen Raum zu geben, um gemeinsame Erfahrungen daraus zu machen und ihr auch eine gewisse Wertschätzung entgegenzubringen. Dieses Format habe ich das erste Mal letzten Winter ausprobiert, als die EP veröffentlicht wurde: Ich habe in zehn Plattenläden und an anderen Kulturorten meine Musik vorgestellt, indem ich etwas dazu gesagt und sie anschliessend gemeinsam mit dem Publikum gehört habe. Meine schriftliche Bachelorarbeit enthält meine Reflektion zu diesen Listenings. Ich werde weiter in diese Richtung experimentieren.

Du setzt dich also mit den Gegensätzen von öffentlich und privat auseinander?

Ja, die Grenzen zwischen öffentlich und privat habe ich auch im Studium in verschiedenen Arbeiten immer wieder aufgegriffen. Ich konzentrierte ich mich oft auf das Zuhause als eine solche Schnittstelle. Mich interessieren die akustischen Gleichzeitigkeiten, die es gibt, wenn ich zum Beispiel in meinem Zimmer sitze, etwas in mein Notizheft schreibe, ich die Autos draussen vorbeifahren, die Musik aus dem Wohnzimmer und das Rascheln der Bäume im Wind höre. Ich sehe das Zuhause als Ökosystem und mir erlaubt es zu einem gewissen Teil meine unterschiedlichen Musikalitäten zusammenzubringen. Die Frage nach dem gemeinsamen Hörraum taucht auch hier auf. Wie dieser Raum aussehen wird, bin ich gerade noch am Herausfinden. 

Das Gespräch führte Ursina Orecchio

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